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Avantgarde-Horror

Zombiesprech trifft Sprachkultur

Ob Serienkiller, Rape-and-Revenge-Stories oder vor sich hingammelnde Zombies – der Horror-Roman hat viele Gesichter und reicht von der klassischen Schauergeschichte zum Gruseln über moderne Erzählungen mit brutalem Grundtenor bis hin zum Splatterpunk und Extreme-Horror, der bewusst Grenzen überschreitet und Brutalitäten bis ins kaum noch erträgliche Detail schildert. So unterschiedlich die einzelnen Horror-Romane inhaltlich sein mögen, haben sie in der Regel alle eines gemeinsam: Sie folgen konventionellen Gesetzen des jeweiligen Genres. An dieser Stelle kommt der Avantgarde-Horror ins Spiel.

Was ist Avantgarde-Horror?

Bewusst oder unbewusst gehen Leser an jeden Horror-Roman oder an jedes sonstige Stück Horrorliteratur mit einer gewissen Erwartungshaltung, die sehr persönlich durch Leseerfahrung und Lesegewohnheit geprägt ist. Obwohl keine Zombies, Vampire oder Werwölfe existieren – sie also keine objektiven Eigenschaften besitzen –, hat dennoch jeder Leser eine sehr konkrete Vorstellung von genau solchen. Vampire sind edel und romantisch, Werwölfe so roh wie brutal und Zombies, das weiß man einfach, schlurfen dumm durch die Gegend mit der unersättlichen Gier nach Menschenfleisch und sind nur, und wirklich nur durch die Zerstörung des Gehirns aufzuhalten. Klischees, die keiner will, aber trotzdem jeder erwartet – auf formaler wie inhaltlicher Ebene gleichermaßen, man denke nur an Filme wie »28 Days Later«, der mit flinken, handlungsfähigen Zombies für extremen Unmut unter den Zombiepuristen sorgte, oder an »Mandy«, der mit seiner unkonventionellen Inszenierung polarisierte und das Mainstream-Publikum mehr verstört als begeistert hat. Die Verquickung aus dem Aufbrechen inhaltlicher Klischees und dem Zerschlagen gewohnter Strukturen, also Zerstörung und Neuaufbau von Inhalt und Form, ist es, was Avantgarde-Horror ausmacht, bei Zombiebüchern ebenso wie bei allen anderen Genres auch.

Warum überhaupt Avantgarde-Horror?

Um beim Thema der Untoten zu bleiben, geht es also im avantgardistischen Zombieroman darum, Grenzen zu überschreiten und das Bekannte zu erneuern. Aber warum geht man als Autor überhaupt das Risiko ein, beliebte Klischees zu zerschlagen und bewährte Erzählstrukturen zu verlassen? Die Antwort liegt in der Intention des Schriftstellers. Will er seine Leser mit sogenannter U-Literatur einfach nur unterhalten, Genremuster bedienen, oder verfolgt er mit der konträren E-Literatur Ansprüche des künstlerischen Ausdrucks, der kommerziellen Strukturen zuwiderläuft? Will er Entertainer sein oder Künstler? Der Kulturindustrie angehören oder dem Kunstbetrieb? Produkt oder Werk? Warum nicht beides?

Zombie-Roman zwischen Kunst und Genrekost

Um den Kunstbegriff wird seit Menschengedenken gestritten, zwischen großen Denkern im ästhetischen Diskurs ebenso wie zwischen neugierigen Kindern vor einem öffentlich ausgestellten Kunstwerk. Muss Kunst schön und gefällig sein, um dem Betrachter Freude zu bereiten, oder soll Kunst wehtun, als auslösendes Moment zum Nach- und Umdenken ermuntern? Kunst kann vieles und noch viel mehr sein, aber niemals eine starre Auffassung, die sich wie eine mathematische Formel nutzen lässt. Kunst, die berechenbar wird, verkommt zum Produkt; diese Verschiebung geschieht ständig, aber dazwischen soll es nichts geben? Könnte man meinen, denn ein streifender Blick durch die soziale Landschaft zeigt trotz theoretisch gepredigter Diversität und Toleranz in der Praxis zunehmend verhärtete Frontgefüge, deren einzelne Elemente zur Differenzierung bald überhaupt nicht mehr in der Lage scheinen. Und in diesem Spannungsfeld zwischen Hopp oder Top, Kunst oder Unterhaltung, schwarz oder weiß hat sich der Zombie-Roman Sinnfinsternis aufgeladen und liefert Avantgarde-Horror, der von den Untiefen billigster Schundhefte bis zu sprachlichen Höhen »echter« (Splatter-)Literatur reicht. Der Roman sticht genau in die Mitte, kann dabei allen gefallen und jedem wirklich wehtun.

Handelt es sich bei Sinnfinsternis nicht um zwei Zombiebücher?

Falls sich jemand wundert, warum ich bei Sinnfinsternis von nur einem Zombie-Roman schreibe: Im Grunde handelt es sich bei »Sinnfinsternis: Georgetown« und »Sinnfinsternis 2: Diener des Chaos« um eine zusammenhängende Geschichte, die lediglich auf zwei Zombiebücher verteilt ist. Dennoch sind beide Teile in sich abgeschlossen und können auch als zwei separate Zombie-Romane aus dem Avantgarde-Horror betrachtet werden.

Woher kommt der Begriff »Avantgarde« eigentlich?

Der französische Begriff Avantgarde stammt aus dem militärischen Jargon und bezeichnete sowohl in Frankreich als auch in Deutschland die Vorhut. Das waren kleine Einheiten, die vor allen anderen Soldaten vorrückten, um Feindgebiet aufzuklären oder taktisch wichtige Positionen zu besetzen. Entsprechend übertrug sich der Begriff später auf ähnlich mutige »Vorreiterrollen« in Politik, Literatur, Musik, Film, Theater, Bildender Kunst, Mode usw.